Prof. Dr. Heike Deckert-Peaceman
Vortrag am 30.06.2022, Universität Frankfurt, Feier der Martha Muchow-Stiftung
Die andere Seite des Fräulein Muchow
Martha Muchow gilt als Pionierin der sozialräumlichen Kindheitsforschung (Miko-Schefzig 2019) sowie der entwicklungs- und umweltpsychologischen Stadtforschung (Mey 2012, S. 185). Die Martha Muchow-Stiftung erkennt hier eine Forschungsrichtung, die „die Perspektiven und Handlungsprozesse von Kindern bei ihrer Auseinandersetzung mit der sie umgebenden Welt sichtbar und verstehbar zu machen versucht.“1
Im Zentrum dieser Rezeption und Einordnung steht die Studie „Der Lebensraum des Großstadtkindes“, die ohne Zweifel als bahnbrechend und von nachhaltiger Relevanz für die Kindheitsforschung zu bewerten ist. Allerdings hängt diese Wirkung mit einer komplexen Rezeptionsgeschichte zusammen, die Günter Mey mehrfach (siehe beispielsweise 2001; 2012; 2015) überzeugend entfaltet hat. Es geht im Kern darum, die verschiedenen Publikationen der zu Muchows Lebzeiten unveröffentlichten und in Fragmenten vorliegenden Studie einzuordnen. Die Beurteilung der Studie ist demnach eingebunden in einen mehrfachen Prozess der Erinnerung und Wiedergutmachung, wie man Mey (2012) folgend am Beispiel der ersten drei Veröffentlichungen2 erkennen kann:
– 1935 durch den Bruder Hans Heinrich Muchow (gegen das Vergessen)
– 1978 durch Jürgen Zinnecker (Wieder- und Neuentdeckung; doppelte Wiedergutmachung)
– 1998 die Neuausgabe von Zinnecker (Beziehung von Studie und Veröffentlichungsgeschichte)
Nach Mey (2012) hat die Wiederentdeckung der Lebensraumstudie ferner dazu beigetragen, eine kritische Sicht auf die Geschichte der Psychologie zu fördern. Seiner Einschätzung nach enthält die Studie ein vielfältiges Anregungspotenzial für weitere Forschungen, die weit über die sozialräumliche Kindheitsforschung hinausgehen (a.a.O., S. 186ff.).
In meinem Vortrag möchte ich an diesen Ansatz anknüpfen, aber den Blick auf das gesamte Werk Muchows erweitern und verändern. Ich schließe mich der Ansicht von Faulstich-Wieland/Faulstich (2012, S. 10f.) an, dass die Konzentration auf ihr berühmtestes Werk – die Studie „Der Lebensraum des Großstadtkindes“ – das Spektrum ihrer wissenschaftlichen Aktivitäten in Vergessenheit geraten lässt. Darüber hinaus gehe ich davon aus, dass die Studie „Der Lebensraum des Großstadtkindes“ in komplexer Art und Weise mit ihrem weiteren Schaffen verknüpft ist, welches immer auch eine bessere Pädagogik zum Ziel hatte. Damit breche ich mit einer Lesart der Neuen Kindheitsforschung, es handle sich bei Muchow um eine ent-pädagogisierte Erforschung von Kindern im Sinne von Agency.
Meine neue Lesart wird durch die Rezeptionsgeschichte erhärtet. Das wird schon in der Erstpublikation ausgewählter Fragmente durch den Bruder Muchows deutlich, wie Faulstich-Wieland/Faulstich (2012) herausarbeiten:
„Die veröffentlichten Teile erfassen nur einen Teil der Lebenswelt – ohne Erwachsene und auch ohne Schule.“ (a.a.O., S. 159)
„Die veröffentlichte Fassung […] nimmt erstaunlicherweise nicht auf die Schule Bezug – obwohl Martha Muchow ihre Erhebungen zum Teil in Schulen und durch Lehrkräfte realisiert hat.“ (a.a.O., S. 156)
Auch inhaltlich umfasst die Veröffentlichung nur den lebensraumtypologischen Teil, aber nicht die epochaltypologischen und zeitbezogenen Arbeiten, die wohl mit diesem Teil in Zusammenhang gestanden haben (a.a.O., S. 101). Büttner/Coelen (2012) verweisen auf zahlreiche Ungereimtheiten der von Muchow unvollendeten Arbeit, sehen jedoch ähnlich wie Zinnecker (1998/1978) von einer kritischen Edition ab. Denn letztlich überlagert die Rezeptionsgeschichte in ihren Wirkungen die Studie selbst.
Nach meinem Eindruck ungeklärt sind bislang der Einfluss der Arbeiten von Lewin auf Muchows Studie sowie die Impulse durch das Team um Stern. Günther (2015, S. 156) vermutet, dass der Bruder den Einfluss der jüdischen Mitarbeiter3, Doktoranden und Kollegen4 bewusst unterschlagen habe, um die Veröffentlichung 1935 nicht zu gefährden. Die Rolle des Bruders ist ein zunehmend deutlicher werdendes Problem für die angemessene Einordnung von Martha Muchows Leben und Wirken (de Lorent 2019, S. 75ff.). Dazu gehört auch, dass an manchen Stellen suggeriert wird, die Lebensraumstudie sei ein Resultat der Kollaboration von Bruder und Schwester, die er dann posthum weiterführt. Bruder und Schwester haben sich nach meinen Recherchen gemeinsam im Volksheim engagiert. Dort haben auch Beobachtungen für die Lebensraumstudie unter Beteiligung vieler Personen stattgefunden. Martha Muchows wissenschaftlicher Werdegang ist von den Kollegen an der Universität und von den vielen akademischen Arbeitskontakten im In- und Ausland geprägt und nicht durch eine wissenschaftliche Zusammenarbeit mit ihrem Bruder.5
Ein ähnlich widersprüchliches Bild hinterlässt die Publikation, die im Auftrag des Pestalozzi-Fröbel-Verbandes vom Bruder 1949 herausgegeben wurde: „Aus der Welt des Kindes. Beiträge zum Verständnis des Kindergarten- und Grundschulalters“, denn sie ist eine Montage von drei Texten aus dem Werk von Martha Muchow, jedoch abgewandelt und ohne klare Unterscheidung von Quelle und Neubearbeitung6.
Interessant ist aber die Einleitung, denn sie enthält einen Hinweis auf die pädagogische Dimension des Werkes seiner Schwester, die Hans Heinrich Muchow in der Fassung der Lebensraumstudie von 1935 ausgeblendet hat und die auch in der Wiederentdeckung von Zinnecker in dieser Deutlichkeit fehlt. Zwar wird der Bezug zur Pädagogik bei Zinnecker 1998/1978 erwähnt, aber nachgeordnet besprochen – wahrscheinlich auch beeinflusst von schulkritischen und antipädagogischen Positionen der damaligen Zeit. Für Heinemann (2016) ist es kein Zufall, dass die – wie sie sagt – „Kinderforschung der 1980er“ die Studie in dem Moment wiederentdeckte, als sie selbst einen paradigmatischen Wechsel vollzogen hatte. Auch sie erkennt in der Rezeptionsgeschichte Verkürzungen (a.a.O., S. 340).
Aus- und wieder eingeblendet wird nach meiner Erkenntnis die Frage nach der besseren Pädagogik in einer besseren Welt, die Muchow fortlaufend beschäftigt hat, ohne einfache Kausalitätsbeziehungen zu formulieren. In diesem Zusammenhang bestimmte sie – vor allem von Stern beeinflusst – ein Verhältnis von Psychologie und Pädagogik, das meiner Ansicht nach auch verloren gegangen ist. Ferner möchte ich sichtbarer machen, dass Muchow als Frau in der Wissenschaft ebenfalls Pionierarbeit geleistet hat und dass diese Pionierarbeit nicht ohne den Ort und seine Bezüge zu verstehen ist.
Fräulein Lehrerin und Frauen in der Wissenschaft
Martha Muchow blieb zeit ihres Lebens „das Fräulein Muchow“. Über die persönlichen Hintergründe ihrer Ehelosigkeit ist mir nichts bekannt. An ihrem Beispiel wird aber der historische Kontext greifbar, denn sie ist wahrscheinlich zunächst ein Opfer des sogenannten „Lehrerinnenzölibats“, das 1880 eingeführt, mit der Weimarer Verfassung 1919 formal und erst mehr als 30 Jahre später tatsächlich abgeschafft wurde (Kohler-Gehrig 2007).
Martha Muchow begann im Kaiserreich als Lehrerin zu arbeiten und verblieb in diesem Status als aus dem Schuldienst an die Universität abgeordnete Lehrerin mit dem Titel Unterrichtsassistentin bis 1930 mit äußerst geringem Gehalt. Erst durch ihre Ernennung zum wissenschaftlichen Rat konnte sie sich eine eigene Wohnung leisten (Kreppner 2015, S. 37). Sie wurde dann aber 1933 degradiert und sollte wieder in den Schuldienst.
Gleichzeitig gelang ihr eine – für eine Frau ihrer Zeit bemerkenswerte – wissenschaftliche Karriere mit hoher nationaler und internationaler Anerkennung: circa 71 nationale und internationale Publikationen zu sehr unterschiedlichen Themen von 1918 bis 1933, Vorträge, Organisation von Tagungen, Lehre, Gutachtertätigkeiten, zusätzliches Forschungsmaterial (zum Teil verschollen), Forschungsreisen (z.B. in die USA), eigene Fortbildung7.
Sie wurde – anders als geplant – nicht die erste Professorin an einer pädagogischen Akademie.8 Von den nationalsozialistischen Machthabern diffamiert und degradiert, wählte sie 1933 den „Freitod“9 (Muchow/Muchow 1998/1935, S. 157; 2012/1935, S. 165).
Muchows Leben spiegelt den holprigen Übergang zu einer formalen Gleichstellung von Frauen in Studium und Wissenschaft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Muchow gehörte zu den ersten Studentinnen der Fächer Psychologie, Philosophie, Philologie und Literaturgeschichte an der 1919 gegründeten Hamburger Universität, nachdem sie schon vorher an dem von Meumann 1911/1410 gegründeten Psychologischen Laboratorium in ihrer Freizeit studiert, mitgearbeitet und sogar publiziert hatte.
Hamburg: Pädagogik und Wissenschaft im Spiegel der Gesellschaft
Für Muchow war der Standort Hamburg in mehrfacher Hinsicht eine glückliche Fügung, denn diese erste Neugründung einer Universität mit Beginn der Weimarer Republik11 war ein Resultat von Revolution (Novemberrevolution12) und Reform (Weimarer Republik).
Muchow hat von diesem demokratischen Aufbruch als Frau, als Staatsbürgerin, als Lehrerin und als Wissenschaftlerin profitiert. Gleichzeitig hat sie sich aktiv und sehr engagiert an diesem Aufbruch beteiligt und zwar in Schulen, Kindergärten, an der Universität, durch Vorträge im akademischen und nicht-akademischen Umfeld (Elternschulung etc.), durch internationale Aktivitäten, z.B. im „Weltbund für Erneuerung der Erziehung“, aber auch in der Volksheimbewegung sowie in der „Gesellschaft der Freunde des Vaterländischen Schul- und Erziehungswesens“, eine Art Berufsverband, der schließlich nach dem 2. Weltkrieg in der GEW aufging.
An diesen Beispielen wird deutlich, wie sehr der demokratische Aufbruch in Hamburg auf spezifische Entwicklungslinien lange vor der Weimarer Republik zurückgreifen konnte (Benner/Kemper 2003, S. 136ff.) und wie sehr Muchows Werdegang genau von diesen Entwicklungen geprägt war. In der Weimarer Republik galt die Volksheimbewegung, 1901 in Hamburg gegründet13, nach der sozialistischen Arbeiterjugend als zweitgrößter Jugendverband. Mit ihrem Bruder engagierte sich Muchow lange Jahre ehrenamtlich außerschulisch für Kinder und Jugendliche ihrer Stadt.
Ironischerweise waren gerade ihre nicht ideologisch festgelegten Aktivitäten und ihr professioneller Beitrag zur Schulreform Anlass für die nationalsozialistische Verleumdung, wovon der oft zitierte Auszug aus der Personalakte zeugt:
„Frl. Dr. Muchow, die engste Vertraute von Prof. Stern, die ihn auch heute täglich besucht und mit ihm Pläne ausarbeitet, ist die Gefährlichste von allen dreien [des Instituts; Anm. HDP]. Sie war aktivstes Mitglied des marxistischen ‚Weltbundes für Erneuerung der Erziehung‘, hat auf internationalen Tagungen, z. B. Genf, in seinem Sinne gewirkt, und war von Oberschulrat Götze in dessen letztem Amtsjahr beauftragt, das hamburgische Schulwesen ‚psychologisch‘ im marxistischen Sinne zu durchdringen. Ihr pädagogisch-psychologischer Einfluss ist unheilvoll und einer deutschen Staatsauffassung direkt zuwider laufend.“ (StA HH 361–6 Hochschulwesen Dozenten- und Personalakten I 68, Blatt 29; auch zitiert bei Moser 1991, S. 497; zitiert nach Faulstich-Wieland/Faulstich 2012, S. 33)
Bund für Schulreform – Schulreform in Hamburg nach 1918
Muchow war zeit ihres beruflichen Lebens vielfältig in die Schulreform ihrer Heimatstadt eingebunden. Ein Ausgangspunkt war der in Berlin 1908/09 von Ernst Meumann u.a. gegründete Bund für Schulreform. Mit der Leitung des Psychologischen Laboratoriums durch Meumann und einem weiteren Gründungsmitglied, dem späteren Stadtschulrat und eben schon genannten Carl Götze (Hamburger Versuchsschulen), bildete Hamburg dann das Zentrum des Bundes.
Stern, der sich sehr für den Bund für Schulreform engagierte14 und ihn gleichzeitig als wissenschaftliche Plattform nutzte, galt dieser als Novum in den modernen Kulturbewegungen „durch sein Bestreben, die verschiedenartigsten Reformströmungen in der Beziehung zur Schule auf einer gemeinsamen Plattform zu behandeln, auf der sich die Pädagogen verschiedenster Schulformen mit den Eltern, den Medizinern, den Juristen begegnen sollen. Aber ein weiteres novum, das mir nicht minder bedeutsam erscheint, ist, dass zu dieser Tätigkeit die Mitarbeit der Jugendkunde gewünscht wird, und dank dieser Mitarbeit kann auch der Psychologe sich beteiligen an dem grossen zukunftsreichen Werk.“ (Vortrag von Stern 04.03.1910; zitiert nach Heinemann 2016, S. 64f.)
Wie kann man sich die Schulreform in Hamburg konkret vorstellen, in die Stern und Muchow aktiv wissenschaftlich eingebunden waren? Im Hamburger Echo vom 23.03.1929 wird der sozialdemokratische Senator Krause gewürdigt, der die Oberschulbehörde schon zehn Jahre leitete – und damit auch die Reform in Hamburg:
– Konsequente Umsetzung der allgemeinen Grundschule und der Begabtenauslese
– Abschaffung des Schul- und Büchergeldes für die Volksschulen und nach Einkommen der Eltern gestaffeltes Schul- und Büchergeld für die höheren Schulen (bis zu 50 % der Schüler an höheren Schulen waren vom Schulgeld befreit)
– Arbeiter-Abiturientenkurse
– Volksschullehrerstudium an der Universität (gegen Spranger), höheres Gehalt für Volksschullehrer
– Lehrerfortbildungsinstitut
– Schulbauprogramm
– Versuchsschulen
Gerade die Versuchsschulen sind in ähnlicher Art und Weise wie die Lebensraumstudie in den 1970er- und 1980er-Jahren als Vorläufer emanzipatorischer Erziehung und alternativer Schulen („Schule als Nicht-Schule“ (siehe dazu Benner/Kemper 2003, S. 136)) wiederentdeckt worden. Einordnung und Beurteilung sind allerdings umstritten: von echter Chancengleichheit, Demokratisierung bis hin zu Chaos und Beziehungsstreit (Rödler 1987; Lehberger 1988; Lehberger/Schmidt 2002; Benner/Kemper 2003).
Mit dem demokratischen Umbau des Bildungssystems stellte sich zugespitzt die Frage, wie eine durch die Verfassung erzwungene Selektion nach Leistung und nicht nach Herkunft zu sichern sei. Die sogenannte Begabtenauslese in der Volksschule war aber schon Thema am Ende des Kaiserreichs und zeigt zudem einen Konflikt zwischen den Vertretern der „Experimentellen Psychologen“ (Eßer 2013) und den Kinder- und Jugendforschern, die sich als Pädagogische Psychologen verstanden, deren bekanntester Vertreter William Stern war (Heinemann 2016, S. 93ff.). Die Mitarbeit an dieser Frage war eines der ersten wissenschaftlichen Projekte von Muchow.
Wir kommen damit zu ihrem wissenschaftlichen, pädagogischen und gesellschaftspolitischen Wirken am Beispiel ihres Beitrages zur Pädagogik.
Begabtenauslese
Muchow argumentierte 1919 gegen die einseitige Begabungsauslese nur aufgrund psychologischer Tests, wie es in Berlin 1917 eingeführt wurde:
„Die beteiligten Mitglieder unseres Hamburger Seminars vertraten dagegen einmütig die Ansicht, daß die Psychologie allein die schwere Verantwortung für die Auslese nicht übernehmen könne, daß bei einer Entscheidung von so durchgreifender Bedeutung, wie sie die Begabtenauslese für das Schicksal des einzelnen sowohl als auch für die Allgemeinheit darstellt, nicht ein einzelnes, noch dazu so in der Entwicklung begriffenes methodisches Mittel wie die Testprüfung den Ausschlag geben dürfe.“ (Muchow 1919a, S. 66; zitiert nach Faulstich-Wieland/Faulstich 2012, S. 49; Hervorheb. in Faulstich-Wieland/Faulstich 2012)
Sie plädierte für die Berücksichtigung von vier Perspektiven: Zeugnis, Empfehlung der Lehrkraft, Beobachtungsbogen und Testergebnis (Faulstich-Wieland/Faulstich 2012, S. 49). Interessant ist zum einen ihr nachdrückliches Eintreten für das Lehrerurteil, das aber durch die Wissenschaft geschult werden sollte. Zum anderen ist der von ihr maßgeblich entworfene Beobachtungsbogen im Sinne einer „Analyse des Lebens der Kinder“ in den Blick zu nehmen. Dieser ist bis 1933 in siebenfacher Auflage erschienen; neu herausgegeben wurde er in überarbeiteter Form 1950 von der Gesellschaft der Freunde des Vaterländischen Schul- und Erziehungswesen, bis schließlich 1963 die letzte Ausgabe erschien. Hier wird wiederum deutlich, dass die Lebensraumstudie keineswegs isoliert von ihren Beiträgen zur Schulreform und Lehrerbildung zu betrachten ist. Hervorheben möchte ich ihren Anspruch, ein komplexes Verständnis der kindlichen Lebenswelt als Ausgangspunkt für die gerechtere Beurteilung von Schülern zu nehmen. Es gilt nach Muchow, „alle Lebensbereiche sichtbar zu machen, in denen das Kind durch Teilhabe und Teilnahme seine Eigenarten erweist“ (Muchow 1950/1920, S. 2).
Von Beginn ihres wissenschaftlichen Werdegangs an setzte sich Muchow vertieft und kritisch mit der sogenannten Methodenfrage auseinander. Schon 1918 plädierte sie für eine Vielfalt und Angemessenheit von Erhebungsverfahren. 1931 problematisierte sie in der Festschrift zum 60. Geburtstag von Stern das Verhältnis von Generellem und Individuellem im Erkenntnisprozess (Muchow 1931; Deckert-Peaceman/Scholz 2021, S. 27ff.). Ihr gelang damit immer wieder, verschiedene Ansprüche – pädagogische, politische und wissenschaftliche – zu berücksichtigen und angemessen zu integrieren.
Reform der Schule
Ähnliches gilt für Muchows Beitrag zur Reform der Schule. Zeit ihres Lebens blieb sie als Wissenschaftlerin dem schulpädagogischen Feld nahe – insbesondere im Rahmen der universitären Ausbildung von Volksschullehrern in Hamburg seit 1926. Die Demokratisierung des Schulwesens lag ihr offensichtlich am Herzen. Jedoch war sie auch hier ideologisch nicht festgelegt und vertrat – analog zu Stern – gemäßigte Positionen zur Frage der Einheitsschule (Heinemann 2016, S. 207f.) im Widerspruch zum Bund Entschiedener Schulreformer.
Berücksichtigt man die Positionen Sterns zu zentralen Fragen der Reformpädagogik (a.a.O., S. 200ff.), dann erkennt man parallel zum Engagement für eine neue Schule und eine neue Erziehung deutliche Abgrenzungen zu anderen reformpädagogischen Positionen. Er äußerte sich kritisch zu Ellen Keys „Jahrhundert des Kindes“, favorisierte die Arbeitsschulbewegung nach Kerschensteiner, kritisierte die Emphase der Kunsterzieherbewegung und plädierte für eine Balance von Individual- und Sozialpädagogik. Er vertrat eine „Pädagogik vom Kinde aus“, die jedoch auf einer wissenschaftlichen Grundlage erfolgen und mit Leistungsansprüchen verbunden werden sollte. Ziel sollte eine Befähigung des Schülers zu kritischem Denken und selbstständigem Arbeiten sein, die vor allem durch ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Schülern und Lehrern entstehen könnte. Voraussetzung hierfür sei eine gute Lehrerbildung. Ferner verstand er eine „Pädagogik vom Kinde aus“ nicht als eine Absage an Erziehung, jedoch auf keinen Fall als eine Erziehung zum Gehorsam, sondern als eine Erziehung zu Selbstständigkeit, Selbstverantwortung, zu einem höheren geistigen und moralischen Niveau (a.a.O., S. 209f.).
Es könnte dem folgend durchaus ein Spannungsverhältnis von Stern und Muchow zu den vier Versuchsschulen bestanden haben, die deutlich extreme Positionen vertraten. Von größerer Bedeutung für Muchow war sicher die Tatsache, dass es in Hamburg nach 1919 allen Volksschulen freigestellt war, nach eigenen Lehrplänen zu unterrichten. Schülerselbsttätigkeit und eine „Pädagogik vom Kinde aus“ wurden als Leitlinien benannt. Die ästhetischen und technischen Fächer wurden besonders gefördert. Die Lehrerkollegien mussten eigeninitiativ die innere Schulreform gestalten und waren nach Lehberger mehrheitlich demokratisch gesinnt (Lehberger 1988; 2012).
Muchow interessierte sich als Wissenschaftlerin insbesondere für die konkreten Auswirkungen dieser Veränderungen auf Kinder, Lehrer und Eltern, blieb jedoch bei aller wohlwollenden Unterstützung immer auch in kritischer Distanz. 1929 forderte sie, die Fragen einer „Schul-Arbeitslehre“ als psychologisches Problem wieder aufzugreifen und formulierte drei Forschungsrichtungen bezogen auf die Schüler15. 1930 äußerte sie sich kritisch zur Bilanz der pädagogischen Reform und machte Vorschläge für einen Richtungswechsel (Muchow 1930).
Konkreter und immer noch aktuell ist ihre Kritik an Zeugnissen (Muchow 1930b, e; zitiert nach Faulstich-Wieland/Faulstich 2012, S. 69f.). Sie plädierte für eine Abschaffung bzw. für eine Beschränkung von Zeugnissen und Zensuren sowie von den sogenannten Kopfnoten, die sie als unzulässige Charakterzuschreibungen erkannte. Sie forderte, Leistungen des Kindes als Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit Material und Aufgabe wahrzunehmen und zu verstehen und vor allem das positiv geleistete hervorzuheben und nicht das Scheitern zu testieren. Ähnliches schreibt sie in Gutachten zu Fehlern und anderen Leistungsfragen (Muchow 1930e; 1932a; zitiert nach Faulstich-Wieland/Faulstich 2012, S. 69f.).
Mehr noch als an konkreten Reformvorschlägen für die Praxis war sie aber an der Ausbildung von angehenden Lehrkräften interessiert und an der Einbindung von Studierenden und Lehrern in den Forschungsprozess.
Lehrerbildung
Für den „Bund der Schulreform“ und insbesondere für Stern war die Lehrerbildung das Zentrum der Reform (und nicht die Schulstruktur oder eine „Pädagogik vom Kinde aus“). Damit verbunden war auch die Forderung nach der Einrichtung erziehungswissenschaftlicher Professuren.
Interessant ist, dass Stern sehr hohe Anforderungen an die angehenden Volksschullehrer stellte (Inhalte des Studiums: Psychologie des Schülers, des Lehrers, der Fächer und der methodischen Vermittlung; strenges Auswahlverfahren (siehe Heinemann 2016, S. 330ff.)). Voraussetzung hierfür war für ihn der enge Kontakt mit der Praxis. Nach Heinemann (2016) war Martha Muchow für Stern die wichtigste Verbindungsfrau zur pädagogischen Praxis, denn sie übernahm nach der Einführung der universitären Lehrerausbildung einen großen Teil der allgemein-psychologischen und den größten Teil der kinderpsychologischen Ausbildung der Lehrersstudenten (a.a.O., S. 332f.).
Muchow konzipierte und verantworte ein sozialpädagogisches Praktikum für angehende Lehrer, das laut Institutsbericht eine zentrale Funktion hatte (a.a.O., S. 332). Die Studierenden sollten in Kindergärten und Tagesheimen das Kind in seiner Welt des Spielens und Gestaltens beobachten. Ziel war die Ausbildung von wissenschaftlichen Methoden (psychologische Beobachtung), um durch einen Transfer auch eine Verbesserung der pädagogischen Praxis in der Schule zu bewirken. Die pädagogischen Felder für diese Beobachtungen wurden vom Hamburger Fröbelseminar zur Verfügung gestellt. Es entwickelte sich in den 1920er-Jahren eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Psychologischen Laboratorium und dem Fröbelseminar, die maßgeblich von Muchow ausging.
Bemerkenswert sind bezogen auf dieses sozialpädagogische Praktikum aus meiner Sicht drei Prämissen:
1. Muchow konzeptualisiert Kindheit unabhängig von den pädagogischen Organisationen als entwicklungspsychologische Einheit, in Kenntnis der Differenzen von Familie, Kindergarten und Grundschule und deren Auswirkung auf die Konstitution von Kindheit.
2. Muchow weist dem Spiel in der Kindheit eine zentrale Rolle zu, auch in Bezug auf das Leistungspotenzial. Dabei argumentiert sie, wovon viele andere Schriften von ihr zeugen, nicht nur entwicklungspsychologisch, sondern in Anlehnung an Fröbel – O-Ton: bildungspsychologisch – in meinen Worten – bildungsphilosophisch.
3. Muchow sieht die wissenschaftlich angeleitete Beobachtung von Kindern in möglichst „entpädagogisierten“ Momenten des Freispiels als zentrale Voraussetzung für eine bessere Pädagogik in Elternhaus, Kindergarten und Grundschule – und für eine höhere Leistungsbereitschaft von Kindern. Gleichzeitig verweist sie auf die Verschränktheit von wissenschaftlicher Beobachtung und pädagogischer Gestaltung. Die Lebensraumstudie ist wohl auch in diesem Kontext zu verorten, denn gerade die zahlreichen Spielplatzbeobachtungen sind wohl im Rahmen des Praktikums entstanden. Zumindest ein Spielplatz ist auch durch das Volksheim für Kinder gestaltet worden.
Muchow gelang es als Wissenschaftlerin, Dozentin und Lehrerbildnerin wissenschaftliche Erkenntnis und praktische Pädagogik in ein kritisches und zugleich produktives Verhältnis zu setzen. Sie warnte aber davor, psychologische Forschung nicht sofort an pädagogische Fragen zu binden, sondern forderte Grundlagenforschung, für die sie im Kindergarten mehr Möglichkeiten erkannte als in der Schule (Faulstich-Wieland/Faulstich 2012, S. 71).
Ein herausragendes Beispiel für diese Position ist ihre Auseinandersetzung mit dem „Fröbel-Montessori-Problem“, die sich in wissenschaftlichen Schriften und Vorträgen, in der Mitarbeit in Arbeitsgemeinschaften und in entsprechender Lehrtätigkeit zeigt16. Interessant ist ihr Zugang zu dieser damals intensiv geführten Debatte. Sie setzte sich kritisch, aber anerkennend mit den wissenschaftlichen Aussagen von Montessori auseinander, favorisierte jedoch eindeutig den Fröbelschen Ansatz. Gleichzeitig berücksichtigte sie zeitgenössische Ansätze aus den USA, der UdSSR, der Schweiz, setzte sich mit Bernfeld auseinander und forderte eine zeitgemäße Überarbeitung des Fröbelschen Ansatzes (Muchow 1929).
Gertrud Beck hat uns dankenswerter Weise eine wichtige Schrift von Muchow mit dem Titel „Psychologische Probleme der frühen Erziehung“ (Muchow 1929) besser lesbar gemacht und für die Zugänglichkeit auf der Website der Martha Muchow-Stiftung gesorgt17. Hier zeigt sich wiederum, dass Muchow zentrale Fragen von Erziehung und Bildung bearbeitete, die bis heute von aktueller Bedeutung sind. Es geht zum Beispiel um den Übergang vom Kindergarten zur Grundschule:
„In der Aufweisung eines konkreten, aber nichtsdestoweniger strengen methodischen Weges vom Spiel über diese Zwischenformen zur Arbeit liegt m.E. die wichtige Aufgabe für die Zusammenarbeit der beiden Pädagogengruppen an dem Aufbau eines in sich geschlossen entwickelnden Bildungsganges für das Kindergarten- und Grundschulalter, den Fröbel andeutend entworfen hat.“ (Muchow 1929, S. 95; Hervorheb. i. Orig.)
Lehrerbildung war für Muchow jedoch nicht auf die erste Phase beschränkt, sondern sie engagierte sich auch in der Fortbildung. Dabei bezog sie Lehrer vielfältig in ihre Forschungen mit ein, suchte also immer die Wechselwirkung von Wissenschaft und Praxis. Schon in den ersten Arbeiten zur Begabtenauslese sah sie den psychologisch-wissenschaftlichen Blick als nicht hinreichend an und machte sich für das Lehrerurteil stark, wie bereits erwähnt. Umgekehrt setzte sie auf den wissenschaftlich geschulten Blick von Lehrern als Möglichkeit zur Verbesserung der pädagogischen Praxis. Exemplarisch steht hierfür ihr Beitrag „Die Volksschullehrerin und die Psychologie der Volksschülerin“ (Muchow 1928).
Meiner Ansicht nach ist Muchows Ansatz einer wechselseitigen Durchdringung von Wissenschaft und pädagogischer Praxis sowohl in der besseren Gestaltung von Erziehung im Fröbelschen Sinne, also Erziehung des gesamten Menschen, zu verorten – als auch in ihrem Erkenntnisinteresse. Es geht hier um eine geleistete Verhältnisbestimmung von Psychologie und Pädagogik, die disziplingeschichtlich nicht nur für die Psychologie von Relevanz ist. Damit nähere ich mich dem Abschluss.
Muchow und Stern und die vielen Mitarbeiter des Psychologischen Laboratoriums haben einen Beitrag zu dieser Verhältnisbestimmung geleistet, dessen Nichtbeachtung für beide Disziplinen – Psychologie und Erziehungswissenschaft – einen Verlust darstellt: disziplingeschichtlich und konzeptuell.
Die Arbeit im Psychologischen Laboratorium nahm ihren Anfang durch den Bund für Schulreform und durch die Reformbewegung in Hamburg. Nach Heinemann (2016) hatte die reformorientierte Lehrerschaft eine tragende Rolle für die Entwicklung der frühen Kinderforschung. Und Stern war wiederum, wie bereits erwähnt, maßgeblich daran beteiligt, erziehungswissenschaftliche Professuren einzurichten – gegen akademische Widerstände. Darin sah man auch eine Aufwertung der Volksschulpädagogik. Es ging nach Heinemann darum, Pädagogik als eigenständige Wissenschaft zu etablieren (a.a.O., S. 34).
Martha Muchow war nicht nur Sterns wichtigste Verbindungsfrau zu dieser reformorientierten Lehrerschaft und wichtigste Dozentin im Bereich der Lehrerbildung. Sie hat selbst als Wissenschaftlerin dazu beigetragen, beide Disziplinen in ihrem Zusammenwirken zu bestimmen. Ihre Sicht auf die Perspektiven und Handlungsprozesse von Kindern ist vor diesem Hintergrund neu einzuordnen – auch als Auseinandersetzung mit einer generationalen Ordnung im Kontext von Erziehungspraktiken.
Zum Abschluss nochmals Muchow im O-Ton 1932:
„Das ganze Leben des Menschen und der Menschheit ist nach Fröbel ein ‚Leben der Erziehung‘. Erziehung des Kindes ist daher nach seiner Auffassung nicht etwas, was ‚an‘ dem Kinde geübt wird. Erziehung ist vielmehr die Form des Zusammenlebens der Lebensalter, die Form des Menschenlebens überhaupt. Mit unnachahmlicher Feinheit hat Fröbel die gegenseitige Bezogenheit der Generationen, die Spannung im Gegensatzsein und die Einigung im Gleichsein psychologisch interpretiert.“ (Muchow 1932y, S. 671)
1 http://martha-muchow-stiftung.de [Zugriff: 11.07.2022]
2 Inzwischen liegen zwei weitere vor: Neuausgabe von Behnken/Honig 2012 sowie der englischsprachige Band Mey/Günther 2015.
3 Im gesamten Text wird das generische Maskulinum verwendet, weil häufig auf Texte aus der Lebenszeit von Muchow verwiesen wird, die immer die männliche Form benutzen. Dadurch wird insgesamt eine bessere Lesart des Textes ermöglicht.
4 Beispielsweise Hans Werner, Martin Scheerer, Betti Katzenstein (siehe Scheerer/Katzenstein 1933), Walter Jacobsen, Curt Bondy, Elisabeth Knoblauch, Herbert Wunderlich.
Kooperation mit David Katz (Lück/Katz 1995), Briefwechsel William Stern mit Jonas Cohn (Lück 1994); Freundschaft mit Kurt Lewin.
Heinemann (2016) spricht davon, dass etwa ein Drittel der an deutschen Hochschulen lehrenden Ordinarien für Psychologie 1933 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft entlassen wurden (a.a.O., S. 16).
5 Ein Problem ist, dass Martha Muchow zwar zeit ihres Lebens sehr viel publiziert hat, aber dass Teile ihres eigenen Nachlasses mit Manuskripten, unveröffentlichten Vorträgen, Rohdaten etc. wohl bei einem Umzug der Universität entsorgt wurde (Faulstich-Wieland/Faulstich 2012, S. 37f.). Büttner/Coelen (2012) fanden im Jahre 2010 den sogenannten Martha Muchow-Nachlass in einem unerschlossenen und sehr schlechten Zustand vor (a.a.O., S. 207). Ich kann diesen Eindruck nach meiner Durchsicht im Jahre 2020 nur bestätigen. Ich habe ausdrücklich nach Spuren gesucht, die tiefere Einblicke in ihr Datenmaterial zur Lebensraumstudie geben können, bin aber nicht fündig geworden. Denn es bleiben viele offene Fragen und Unklarheiten zu der auf Fragmenten beruhenden und vom Bruder herausgegebenen Studie (a.a.O., S. 202). Auf dem 10. Internationalen Kongress für Psychologie im August 1932 hat Martha Muchow einen Vortrag gehalten, der nie veröffentlicht wurde (Das galt für den gesamten Kongress.). In der Zeitschrift für pädagogische Psychologie und Jugendkunde 34/1933 berichtet Hellmuth Burkhardt vom Kongress. Er schreibt im Anschluss an das Referat von Stern „Raum und Zeit als personale Dimensionen über einen neuen Raumbegriff“ (S. 39): „Die Psychologie, als Teilgebiet der Personalistik, gewinnt daraus entwicklungs-, differentiell- und milieupsychologische Aufschlüsse, so z.B. über die Verschiedenheit des Raumerlebens eines Gefangenen oder eines Landstreichers. Martha Muchow durchleuchtete ein solches Teilproblem: ‚Der Jugendliche und sein Raum‘, indem sie der Eigentümlichkeit des Raumes als ‚Lebnis‘ besonders weiblicher Jugendlicher nachging. Dieser ‚gelebte‘ Raum weist Aufgelockertheit seiner Bestimmtheit, seiner Dimensionalität und Gerichtetheit auf, die z.B. zu einer Standortsrelativierung und einer Dynamisierung durch Einbeziehung der Zeit als vierter Dimension (‚Raum mit Sehnsucht durchzogen‘) führen kann.“ (Burckhardt 1933, S. 40) Es gibt im Nachlass keinerlei Hinweis auf das Vortragsmanuskript, obwohl hier wohl entscheidende Ausführungen zur Lebensraumstudie gemacht wurden.
6 Ich habe die Originaltexte mit dieser Publikation verglichen. Siehe dazu auch Faulstich-Wieland/Faulstich- 2012, S. 93.
7 Eine Bibliografie Martha Muchows findet sich in Faulstich-Wieland/Faulstich 2012, S. 166ff. Ferner sind 18 Originaltexte über die Martha-Muchow-Bibliothek Hamburg zugänglich (https://www.ew.uni-hamburg.de/mmb/ueberuns/muchow.html [Zugriff: 22.07.2022]).
8 Geplant war die Professur an der Pädagogischen Akademie in Altona, die aber der Wirtschaftskrise zum Opfer fiel (Faulstich-Wieland/Faulstich 2012, S. 29).
9 Der Suizid von Martha Muchow wird entweder nicht genau beschrieben („aber ihre Kraft ist erschöpft. Zwei Tage später findet man sie bewußtlos in ihrer Wohnung, und am 29. September ist sie gestorben.“ (Strnad 1949; zitiert nach Muchow 1949/1926, S. 18)) oder als „Freitod“ (Muchow/Muchow 1998/1935, S. 157; 2012/1935, S. 165) bezeichnet. Die Verwendung dieses Begriffes im Vortrag ist also ein Zitat, wohlwissend um die Fragwürdigkeit dieses Begriffes.
10 Die Entwicklung des Psychologischen Laboratoriums vor Gründung der Hamburger Universität 1919 begann 1911 durch Meumann. 1914 wurde Meumann wissenschaftlicher Leiter des von ihm geplanten Instituts für Jugendkunde (Heinemann 2016, S. 213ff.).
11 https://www.uni-hamburg.de/uhh/profil/geschichte.html [Zugriff: 10.07.2022]
12 Hier der Hinweis auf die Rolle des Lehrerrates im November 1918 für Lehrerbildung und Schulentwicklung (de Lorent 1988, S. 25ff.).
13 http://volksheim.de/geschichte.htm [Zugriff: 02.08.2022]
14 Dies war u.a. für seine Berufung relevant, z.B. hatte er sich gegen Spranger durchgesetzt (Heinemann 2016, S. 218f.).
15 Objektive Anforderungen an die Arbeitstätigkeit; subjektiver Eindruck der Schüler, auch retrospektiv; experimentelle Untersuchungen der Wirkung von Schularbeit auf die körperliche und geistige Gesundheit (Muchow 1929c, S. 203f.; zitiert nach Faulstich-Wieland/Faulstich 2012, S. 67).
16 Siehe dazu ausführlich Faulstich-Wieland/Faulstich 2012, S. 70ff.
17 http://martha-muchow-stiftung.de/martha-muchow/textauschnitt/mm_psychologische-probleme-der-fru%cc%88henerziehung/ [Zugriff: 11.07.2022]; siehe auch Martha-Muchow-Bibliothek (https://www.ew.uni-hamburg.de/mmb/ueberuns/muchow.html [Zugriff: 22.07.2022])
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