Preisträger_innen

Kindsein als Effekt generationalen Ordnens. Diskursive [Positionierungs-]Praktiken elfjähriger Kinder einer Berliner Freizeiteinrichtung im Sprechen über Kindheit und Erwachsenheit. Miriam Franziska Kost

Der Studienpreis Kindheitsforschung wurde Miriam Franziska Kost am 30. Juni 2022 für ihre Masterarbeit verliehen. Frau Prof. Dr. Charlotte Röhner überreichte als Vorsitzende der Martha Muchow-Stiftung den mit 1000 Euro Preisgeld verbundenen Preis. Frau Röhner beglückwünschte die Preisträgerin und begründete die Entscheidung der Stiftung mit der herausragenden wissenschaftlichen Qualität der Arbeit. Die Arbeit sei im Sinne der Stiftung „einschlägig“. Die Fragestellung, die Methode der Datenerhebung und die Art und Weise der Präsentation der Daten machen die Masterarbeit zu einem wichtigen Beitrag zur Erforschung der Perspektive von Kindern.

Die Autorin argumentiere auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau. Es gelinge ihr, auf einem knappen Raum komplexe Zusammenhänge verständlich darzustellen. Die Stiftung strebe eine Veröffentlichung der Arbeit an.

Frau Prof. Dr. Susann Fegter laudatierte die Masterarbeit. Sie stellte u.a. heraus, dass Miriam Kost aufbauend auf den ethischen Prinzipien einer Forschung zum Wohl des Kindes neuere theoretische Entwicklungen aus dem Bereich der Diskursforschung aufgreife, um die Perspektive von Kindern auf ihr Wechselspiel mit gesellschaftlichen Kontexten zu befragen. Sie fokussiere dabei auf das gesellschaftliche Verhältnis von Kindern und Erwachsenen und arbeitete empirisch heraus, wie elfjährige Kinder selbst zwischen Kindern und Erwachsenen unterscheiden und auf diese Weise an der gesellschaftlichen Ordnung zwischen den Generationen mitwirkten.

Der Studientag Kindheitsforschung wurde 2022 im Rahmen der Feier zum 12-jährigen Bestehen der Martha-Muchow-Stiftung begangen.

 

Raum(re)konstruktionen von Kindern beim Einkaufen im pädagogischen und städtischen Alltag. Lisa Fischer

Martha Muchow interessierte sich schon Anfang des 20. Jahrhunderts für Kinder als gesellschaftliche Akteur*innen, die sie dort aufsuchte, wo sie sich im Alltag aufhielten. Muchow begriff Handlungspraktiken von Kindern als sozial wirksame und eigensinnige Praktiken. Lisa Fischer schließt mit ihrer Studie fast ein Jahrhundert später daran an und beleuchtet die sozialen Praktiken der Raumherstellung von Kindern und Erwachsenen in pädagogischen Situationen. Raum wird im Anschluss an aktuelle kulturtheoretisch-praxeologische Konzepte relational als Ergebnis von strukturellen Bedeutungszuschreibungen und situativer Herstellung begriffen.

Ausgehend von teilnehmenden Beobachtungen in einem Hort, beschäftigt sich die Studie damit, wie Orte zum Einkaufen für Kinder in den pädagogischen Alltag eingebunden werden und damit, wie Kinder in diesen Zusammenhängen Raum eigensinnig herstellen. Es handelt sich um einen im Hort regelmäßig veranstalteten Kiosk und um einen Ein-Euro-Discounter, zu dem die Kinder von den Pädagog*innen begleitet werden.

Durch einen mikroanalytischen Blick werden die Kreativität, Aktivität und Eigensinnigkeit der Kinder konsequent in den Mittelpunkt gerückt. So wird erkennbar, wie Kinder soziale Realität hinterfragen und fähig sind, ihre soziale Wirklichkeit mit zu gestalten. Dabei wird auch deutlich, dass die Kinder selbst Akteur*innen pädagogischer Organisationsprozesse sind und generationale Ordnungsverhältnisse produzieren. Sie gestalten pädagogische Einkaufs-Arrangements aktiv mit und dabei gelingt es den Kindern auch Themen einzubringen, die ihnen wichtig sind, beispielsweise Freundschaft und Gerechtigkeit.

Vor dem Hintergrund eines sozialwissenschaftlich informierten Begriffs von Kindheit, der das Kind als leibliches Wesen im Blick behält, werden in der Studie anhand des Konzepts der Generation erziehungswissenschaftliche und soziologische Prämissen zueinander ins Verhältnis gesetzt und Prozesse der Hervorbringung von Räumen nachgezeichnet. Indem sie Repräsentationsformen und Deutungszusammenhänge konsequent reflektiert, gelingt der Autorin ein sensibler Zugang zur sozialen Praxis des Untersuchungsfelds.

Lisa Fischer erhielt 2018 den Studienpreis Kindheitsforschung für ihre von Prof. Dr. Sabine Andresen (Goethe Universität Frankfurt) betreute Diplomarbeit „Einkaufen im Bahnhofsviertel. Eine ethnografische Erforschung kindlicher Raumherstellungsprozesse in alltagpädagogischen Zusammenhängen“, die nun als Buch vorliegt. Sie ist sowohl in ihren theoretischen Teilen, ihren raumtheoretischen Überlegungen sowie vor allem bei der Dekonstruktion vom Räumen des pädagogischen Alltags sehr überzeugend. Die Beobachtungen während des Hortkiosks in einer Kita und beim Besuch der Hort-Kinder mit einer pädagogischen Fachkraft  in einen Ein-Euro-Laden im Frankfurter Bahnhofsviertel werden differenziert und klar nachvollziehbar beschrieben und interpretiert.

Die Arbeit macht deutlich, dass ethnografische Forschung im Sinne von Martha Muchow und Hans H. Muchow, wesentlich dazu beitragen kann, unsere Perspektive als Erwachsene, als Pädagog*innen unter der Frage zu reflektieren, wie das Kind seine Lebenswelt, seine Umgebung wahrnimmt und was wir dazu beitragen können, dass sie, die Kinder, trotz der pädagogischen allumfassenden Betreuung Freiheiten/Freiräume haben, um Orte als Orte von Kindern zu gestalten.

Lisa Fischer (2020): Raum(re)konstruktionen von Kindern beim Einkaufen im pädagogischen und städtischen Alltag. Weinheim, Basel: Beltz Juventa.


Autonomie in der Kindererziehung – ein Widerspruch?
Sarah Mühlbaher

Preisträgerin des Sonderpreises ist Sarah Mühlbacher. Der Preis wurde ihr verliehen für ihre Masterarbeit: Autonomie in der Kindererziehung – ein Widerspruch?

Die von Prof. Dr. Ferdinan Sutterlüty (Goethe Universität Frankfurt) betreute Arbeit beschäftigt sich mit einem grundlegenden Problem aller Kindheitsforschung, und zwar auf einem theoretisch hochstehenden Niveau. Damit liegt eine äußerst differenzierte Auseinandersetzung zu einer Frage vor, die relevant ist für alle empirische Forschung zur Perspektive von Kindern. Eine vergleichbare Zusammenfassung liegt bisher nicht vor.

Wir danken Frau Andresen und Herrn Sutterlüthy für die Einordnung der ausgezeichneten Arbeiten in ihre jeweiligen Arbeitszusammenhänge und allen Beteiligten für die spannende Diskussion.